Donnerstag , 16 Mai 2024
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Die Freiheit des Reisens: Gedanken über Migration und Bewegung


Ich kann dorthin gehen, wohin ich will. Ich besitze einen österreichischen Reisepass – und der erlaubt es mir, in alle Staaten dieser Welt zu reisen. Zwar muss ich in manchen Ländern ein Visum beantragen, das mir gegen Geld meist problemlos in meinen Pass gestempelt oder geklebt wird, aber die Einreise wird mir nirgendwo verweigert. So wie mir, geht es fast allen Bewohnern der westlichen Industriestaaten. Uns steht die Welt offen.

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Zeig mir, was Du gefunden hast. Urlaubsidylle auf der Kassandra/Chalkidike/Griechenland.

Für manche unter uns geht das sogar noch weiter: Vermögende kaufen auch gerne Häuser und Grundstücke im Ausland – sie suchen sich die schönsten Plätze der Welt aus und errichten dort mehr oder weniger mondäne Ferienhäuser. Auf einer meiner Karibikreisen klagte ein Einheimscher einmal darüber, dass die besten Plätze in seiner ohnehin winzigen Heimat an Ausländer verscherbelt wurden. Und es werden immer mehr. Übrigens kommen die Käufer fast alle aus Ländern, in denen die Karbikinsulaner ohne Visum nicht einreisen dürfen. Darüber denken wir – im Westen – ganz selten nach, weil uns die Welt offenstehen, umgekehrt aber denen, die wir so gerne im ‚paradiesischen Ausland’ besuchen, nicht – und schon gar nicht bei uns.

Wirtschaftsflüchtling: Unwort des Jahres

Wir nennen Menschen, die sich woanders niederlassen wollen sehr schnell „Wirtschaftsflüchtlinge“. Ich verabscheue dieses Wort. Es sollte ein Menschenrecht sein, sich dort niederzulassen, wo man leben will. Auf all meinen Reisen – inzwischen durch fast 100 Länder – habe ich bei den Bedürfnissen der Menschen keine allzu großen Unterschiede feststellen können. Ein friedliches Leben mit der Familie, ein gesichertes Einkommen und irgendeine Art der Zukunftsperspektive – das ist, was Menschen zum Leben brauchen. Ich habe niemanden getroffen, der aus Jux und Tollerei einfach so seine Heimat verlassen wollte. Die meisten Menschen fühlen sich mit ihrem Herkunftsland verbunden – selbst der Bäcker aus Äthiopien in Los Angeles oder der Bedienstete aus Eritrea am Frankfurter Flughafen. Sie haben mit einem Strahlen in den Augen reagiert, als ich sie nach ihrer Herkunft fragte und waren glücklich, dass ich etwas über ihr Heimatland wußte. Wir empfinden so etwas wie eine Verwurzelung mit dem Gebiet, wo wir auf die Welt gekommen sind – selbst wenn die dortigen Lebensbedingungen nicht optimal sind. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen und bemerkt, dass die meisten auch gewisse Nachteile in Kauf nehmen und trotzdem in ihrer Heimat bleiben. Erst wenn es in einem Land unsicher oder gefährlich wird oder man von anderen verfolgt wird und keinerlei Zukunftschancen mehr sieht, packen sie ihre sieben Sachen und gehen. Und das tun sie sehr oft schweren Herzens, denn die Eltern, Geschwister, andere Verwandte und Freunde bleiben dann zurück. Hinter jedem Flüchtling steckt ein ganz privates und persönliches Schicksal – das vergessen wir viel zu oft.

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Reise ins Ungewisse…..

Verantwortung für das eigene Handeln

Meine Urgroßmutter machte sich Anfang des 20. Jahrhunderts vom slowenisch-kärntner Grenzgebiet aus auf dem Weg nach Danville/Illinois. Eingeladen wurde sie von ihren beiden Brüdern, die einige Jahre zuvor in die USA ausgewandert waren, weil es im kleinen Dorf in Slowenien, wo sie herkamen, keine Arbeit gab. Sie waren erfolgreich in Amerika – nicht reich, aber wohlhabend. Und sie wollten ihrer Schwester zeigen, wie gut es ihnen ging. Natürlich spekulierten sie auch damit, meine noch unverheiratete Urgroßmutter dort mit einem Mann zusammenzubringen. So begab sich die junge Frau über Cherbourg und New York nach Chicago und blieb dort einige Monate. Doch meine Urgroßmutter folgte dem Ruf ihres Herzens, denn sie liebte einen Mann in ihrer alten Heimat und trotz des ‚lukrativen Angebots’ fuhr sie wieder zurück und ehelichte ihren Liebsten. Ich mag diese Geschichte, denn sie zeigt mir anhand meiner eigenen Familie, dass das Weggehen trotz ökonomischer Vorteile nicht ausschlaggebend ist. Damals herrschte in unserer Heimat noch kein Krieg, aber die wirtschaftlichen Verhältnisse – verglichen mit den aufstrebenden Kohlestädten im Süden Chicagos – waren bitter. Meine Urgroßmutter war ehrlich genug, den Weg des Herzens zu folgen – und das ist sehr tapfer und vor allem sehr edel. Es musste ihr aber auch klar gewesen sein, dass sie ihre Brüder nie wieder sehen würde, denn diese Entfernung nach Amerika war damals praktisch unüberwindbar.

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Herumalbern mit Kindern in Aitutaki/Cook Islands

Wir brauchen Rohstoffe und willige Handelspartner

Wenn man mit ‚Wirtschaftsexperten‘ redet, wird jemand wie ich dauernd belehrt. Weil ich in meiner unendlichen Naivität völlig auf das und jenes vergesse, was wichtig ist, sagen sie. Trotz dieser Widersprüche weiß ich heute, dass die westliche Welt mit dem Übervorteilen jener, die ärmer sind und weit weniger haben als wir, gute Geschäfte macht. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass wir auf Kosten der anderen leben. Denn egal welch wertvollen Bodenschatz wir von irgendwoher brauchen, wir kriegen ihn – und dazu bedienen wir uns sämtlicher zur Verfügung stehender Mittel. Wir liefern auch Waffen und überfluten diese Länder mit billigen Nahrungsmitteln und zerstören dadurch nachhaltig lokale Wirtschaftsgefüge. Das schlimmste Beispiel, über das ich je gelesen habe, war, dass die Menge, die ein einziger EU-Super-Fischtrawler in den mauretanischen Gewässern innerhalb eines Tages fischt und verarbeitet etwa der Menge entspricht, die 56 traditionelle Pirogenboote in einem ganzen Jahr dem Ozean entnehmen. Allein der als Abfall über Bord geworfene Beifang könnte in Mauretanien 34.000 Menschen ein Jahr lang ernähren. Das ist nur ein einziges Beispiel unseres verantwortungs- und rücksichtslosen Handelns. Leider gibt es davon tausende wenn nicht sogar zehntausende. Die Rufe, dass diejenigen, die wir geknechtet und ausgebeutet haben, eines Tages vor unserer Türe stehen werden, haben wir überhört oder wir haben einfach nicht darüber nachgedacht. (Weitere Informationen über das Agieren globaler Konzerne finden sich im ausgezeichneten Buch von Klaus Werner-Lobo „Schwarzbuch Markenfirmen“).

Kein Ende der Ausbeutung in Sicht

Aber wir hören nicht auf, die Mitmenschen, die Umwelt und die Natur weiter zu vergewaltigen, um unseren Hunger nach Mehr zu stillen. Selbst die geknechteten Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie in Ländern wie Bangladesch oder China sind den großen Herstellern mittlerweile zu teuer. Sie weichen jetzt nach Äthiopien aus, wo ihnen der zu bezahlende Lohn noch um ein Eck billiger kommt und damit den Gewinn maximiert. Afrika steht längst auf der Liste großer gieriger Landwirtschaftskonzerne und gieriger Staaten, die billige Flächen brauchen und dort das anbauen, was tausende Kilometer weiter weg benötigt wird. Dabei nehmen wir es mit Menschenrechten und machtgeilen Diktatoren, die mit Schmiergeld bestochen werden, auch nicht ganz so genau. Hauptsache, der Deal passt.

Und wir wundern uns jetzt tatsächlich, dass Menschen, die eigentlich nur überleben wollen, an unsere Haustüre klopfen.

Schmutziger Tourismus

In einem Touristik-Fachmagazin las ich Anfang des Jahres ein Editorial, in dem sich die Chefradakteurin darüber echauffierte, dass Nordkorea einen Stand auf der Berner Ferienmesse gemietet hatte. Sie führte lang und breit aus, dass es wohl einem jeden einzelnen überlassen bleibe in ein solches Land zu reisen, in dem ein derartiges Regime an der Macht sei von dem man nur Böses hört. Sie meinte, dass es schlichtweg eine Katastrophe sei, wenn man dort hinfährt, weil es diese und jene Be- und Einschränkungen für Reisende gebe. Die weltweit agierenden Tourismuskonzerne sind allerdings bei der Wahl von Feriendestinationen nicht besonders zimperlich. Es ist ihnen ziemlich egal, wie es um die Einhaltung von Menschenrechten in einem Zielland steht. Solange der Tourist nicht gefährdet ist, gibt es keine Einschränkungen. Dass man in den Arabischen Emiraten bei ausländischen Arbeitskräften auf eine ‚moderne Art der Sklaverei’ zurückgreift, stört offensichtlich keinen. Der Glanz und Glitter dieser artifiziellen Glamour-Cities beeindruckt Touristen und läßt die Kassa ordentlich klingeln. Nur beiläufig bemerkt, kann man als Reisender hier sehr schnell mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Zum Beispiel wenn man den ‚falschen’ Hustensaft mitbringt, denn die Einfuhr von codeinhaltigen Arzneien verstößt nämlich gegen das dort geltende Suchtmittelgesetz. Und der Hustensaft ist nicht das einzig verbotene Arzneimittel. Noch mehr Ärger hat man, wenn man als Frau von einem Mann belästigt wird und Anzeige erstattet. Aber darüber reden wir im Angesicht der großartigen Kulisse dieses begehrten Reiseziels ja nicht. Wer noch weiter en Detail gehen will, kauft sich am besten das Buch des österreichischen Arztes Dr. Eugen Adelsmayr „Von einem, der auszog“. Darin schildert der Mediziner den gegen ihm erhobenen Vorwurf der Tötung eines Patienten, sein ‚faires‘ Gerichtsverfahren und seine Verurteilung zum Tod, der er nur durch diplomatisches Tauziehen entkam.

Malediven: Traumhaftes Inselparadies

Dass die globale Tourismusindustrie auf politische Systeme kaum Rücksicht nimmt, wird auch am Beispiel der Malediven sehr deutlich. Dort wurde der progressive Präsident Mohamed Nasheed, der der 30 Jahre langen Diktatur von Maumoon Abdul Gayoom 2008 ein Ende setzte, nach nur fünf Jahren mit unfairen Mitteln abgesetzt und verhaftet. Der jetzige Präsident ist ganz zufällig wieder aus dem Gayoom-Clan. Gegen Regimegegner wird ziemlich drastisch vorgegangen. Über den Fall einer jungen Regimekritikerin berichteten die Journalistinnen Arabelle Bernecker und Susanne Glass in ihrem großartigen Buch „Schwestern der Revolution“. Mehr als eine Million ausländische Reisende kommen jährlich auf die Malediven. Meist sehen sie nicht viel mehr als den Flughafen und die von der Bevölkerung abgeschottete Touristeninsel, auf der ihr Resort liegt. „Touristen sollten besser wahrnehmen, was läuft“, sagte Nasheed nachdem er gezwungen wurde, seinen Präsidentenstuhl zu räumen. Doch dieser Ruf verhallt zumeist ungehört. Der gesamten Tourismusindustrie tut das alles keinen Abbruch. Dabei treibt der Luxus-Tourismus hier ganz besondere Blüten, denn auch mit den Arbeitsrechten der Bediensteten nimmt man es nicht ganz so genau. Zudem muss hier alles eingeflogen werden – vom Weinglas bis zum Haarshampoo. Zurück bleiben riesige Mengen an Müll, die auf einem eigenen Atoll nahe der Hauptinsel Male deponiert werden. Dass dort das Paradies-Feeling etwas abhanden gekommen ist, scheint auch völlig egal zu sein. Denn darüber redet kaum wer.

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Tuamotu-Atolle in Franz. Polynesien: Die flachen Koralleninseln sind vom Klimawandel bedroht

Es gibt also einige andere Destinationen über die man sich wesentlich mehr aufregen könnte, wenn man es genau nimmt. Aber wie gesagt, tut man sich bei Nordkorea, wo ohnhein kaum jemand hinfährt, deutlich leichter,weil es einfach viel plakativer ist.

Respekt vor den Menschen

Reisen ist eine Chance, um das gewohnte Bild und eine bereits vorgefertigte Meinung zu revidieren. Wer sich im Ausland nicht nur darauf beschränkt, mit Mitreisenden aus der Heimat zu sprechen (und zu trinken), sondern auch mit Einheimischen in Kontakt tritt, kann nicht nur sehr viel über andere Gebräuche und Sitten lernen, sondern auch über die Wünsche und Bedürfnisse von Menschen erfahren. Das Schicksal eines Menschen zu begreifen und mitzufühlen, macht toleranter und öffnet unter Umständen auch das eigene Herz.

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Homestay bei Regina und Coy in Dominica. Unvergessliche Momente des gemeinsamen Zusammenseins.

So gesehen bietet das Reisen unglaubliche Möglichkeiten das Weltgeschehen etwas anders zu interpretieren als kleinformatige Tageszeitungen uns das täglich aufschwatzen. Mündige Bürger wählen nicht nur klüger aus dem Sortiment, sondern sie verbreiten durch ihr Erlebtes Hoffnung und Zuversicht. Und die brauchen wir heute dringender denn je.

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Ich möchte diesen Aufsatz mit der Beantwortung der mir am häufigsten gestellten Frage – „Wo hat es Dir denn am Besten auf der Welt gefallen“ – beenden. Ich habe versucht diese Frage zu beantworten: Mir hat es überall sehr gut gefallen, weil ich auf jeder Reise Menschen kennen- und schätzen gelernt habe. Und sie waren es, die das Erleben nachhaltig beeinflußt haben. Sie waren es, die mit mir in den Tempel, in die Kirche oder in die Moschee gegangen sind, und mir erzählt haben, was ihnen persönlich wichtig ist. Sie haben mir ihre Freundschaft entgegengebracht – und das aus mir gemacht, was ich heute bin. Ich reise für mein Leben gern, weil sich hinter jeder Straßenecke etwas Neues verbirgt – und das kennenzulernen ist meine Freude. Und ich hoffe, dass mir das Reisen noch lange möglich sein wird, denn es gibt noch so Vieles zu entdecken. Bedanken möchte ich mich aber vor allem bei all denjenigen, die ich auf dieser immer noch andauernden Reise durch die Welt kennengelernt habe und die meinen Horizont erweitert haben. Es sind zu viele, um sie alle hier aufzuzählen. Sie sind die wahren Heroes, denn sie sind die Geschichten, die ich so gerne erzähle.

Baci-Ceremony-Laos

Baci-Willkommenszeremonie in Luang Prabang/Laos. Bei jedem Gebet bekommt man ein Bändchen um die Hand gebunden. Drei Tage muss man diese Bändchen tragen. Dann kann man sie mit Glückwünschen an die Liebsten weitergeben.






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