Eine der beeindruckendsten Geschichten zu Thema nachhaltige Stadtentwicklung habe ich in der südschwedischen Stadt Malmös erlebt. Kluge Köpfe haben aus der Not – der schwersten Wirtschaftskrise, die diese Stadt getroffen hat – eine Tugend gemacht und einfach ein komplett neues Stadtviertel aus dem Boden gestampft. Schweden war immer schon ein Land, das für Innovationen gut war, weil man einfach lösungsorientiert denkt.
Ausgangspunkt war die Frage, wie man eine Stadt, die in erster Linie vom Schiffsbau lebte, nach dem Ende dieser Industrie retten kann. Die Antwort ist hier, in dieser Geschichte zu lesen – und beginnt damit, dass auf dem ehemaligen Industriegelände ein neuer, nachhaltiger Öko-Stadtteil errichtet wurde. „Västra Hamnen“ ist mittlerweile bei Jung und Alt extrem beliebt. Mittlerweile zieht das erfolgreiche Projekt Experten aus aller Welt an.
„1987 schloss die Kockums Werft In der Folge stieg die Arbeitslosenzahl auf 20 Prozent an. Malmö war zu einer Industrieruine mit gewaltigen Problemen geworden“, erzählt die Journalistin und Moderatorin Catarina Rolfsdotter-Jansson, die Journalisten durch Västra Hamnen führt.
„Die schlimmsten Befürchtungen schienen wahr zu werden. Doch die Stadtväter der südlichsten Stadt Schwedens – nur einen Steinwurf entfernt von Kopenhagen – reagierten mit großer Voraussicht. Sie rissen den Großteil der Industriegebäude ab, sanierten die schwermetallhaltigen Böden und begannen, ein völlig neukonzipiertes Wohnviertel aus dem Boden zu stampfen. Da für das ehrgeizige Projekt zu wenig Raum zur Verfügung stand, wurden sogar dem Meer Flächen abgetrutzt. Ziel war es, die nachhaltigste Stadt der Welt zu bauen. 1998 öffnete die Universität Malmö hier ihre Pforten, drei Jahre später die Europäische Heimmesse „Bo01“. Diese beiden Meilensteine markierten den Startschuss des neuen Viertels.
Umweltbewusst
Kritiker gab es genug. Schließlich verzichtete man im neuen Westhafen – so die deutsche Übersetzung – auf große Parkplatzflächen und setzte stattdessen auf Radwege. Rolfsdotter erinnert sich an das erste Restaurant ‚Salt & Brygga’, das hier seine Tore öffnete: „Eigentümer Joel Lindqvist war von Anfang an bei der Durchsetzung des Nachhaltigkeitsgedankens total konsequent. Die gesamte Einrichtung besteht aus rezyklierten Abfällen. Bei den Speisen setzte er ausschließlich auf biozertifizierte Produkte.“ Der Erfolg gab Lindqvist recht. Das Restaurant gehört heute zu den Top-Gastronomiebetrieben Schwedens und hat den Standort enorm aufgewertet. Hier, direkt an der Beachfront mit dem Blick auf die Öresundbrücke, die Schweden mit Dänemark verbindet, entwickelte sich einer der beliebtesten Treffpunkte der ganzen Provinz.
Mit Flair & Charme
Moderne Städte haben sehr oft das Problem, dass sich die Uniformität der neuerrichteten Gebäude negativ auf den Ortscharakter auswirkt. Anders ausgedrückt – die meisten Siedlungen sind zu sehr zweckorientiert. Bei der Errichtung von Westhafen wurde dagegen auf Abwechslung gesetzt. Die Vielfalt der Gebäudestrukturen spiegelt die Vielzahl der ausführenden Architekten wieder. Insgesamt sind 26 Architekturbüros mit der Planung beschäftigt gewesen – dabei leben derzeit erst rund 20.000 Menschen hier – nach der Fertigstellung sollen es 300.000 sein. Die Architekten haben Gebäude mit verschiedenen Höhen und Ausrichtungen geschaffen. Es gibt künstlich angelegte Wasserwege, an denen größere Einfamilienhäuser stehen, es gibt Mehrparteienhäuser und im Zentrum sogar ein 190 Meter Hochhaus mit 54 Etagen das ‚Turning Torso’ genannt wird und den in den 1950er Jahren zum Wahrzeichen gewordenen Wasserturm mittlerweile den Rang als „Landmark“ abgelaufen hat. Es war immer angedacht, im neuen Stadtviertel kein Millionärsgetto zu schaffen, sondern einen Mix aus Miet- und Eigentumswohnungen bzw. Häusern. Ein Teil der Objekte werden von der Kommune vermietet.
Ein lebendes Forschungsobjekt
„Ein signifikantes Merkmal zahlreicher Gebäude ist übrigens das begrünte Dach“ erklärt Rolfsdotter. „Die grünen Dächer sorgen für bessere Luft und dienen zusätzlich als Lärmbarriere.“ Das Scandinavian Green Roof Institute beschäftigt sich mit der Erforschung dieser Dächer.“ Die Idee dazu stammt aus der Augustenborg Ecocity, etwa einen Kilometer von Malmös Stadtzentrum entfernt. Hier befinden sich die größten Dachgärten der Welt. „Augustenberg war bis vor knapp 20 Jahren ein heruntergekommenes Wohnviertel mit starker Abwanderung“, erzählt die Reiseführerin.
Die Stadtverwaltung reagierte darauf und setzte auf ökologische Stadterneuerung. Es wurden weitläufige Grünflächen angelegt sowie die Energienutzung und der Zugang zu Recyclingeinrichtungen verbessert. „Abgesehen davon, dass auch Augustenborg zu einem Vorbild für Nachhaltigkeit wurde, ist es inzwischen ein sehenswertes Stadtviertel. Auch die Bewohner, deren Wohnungen mit nachhaltigen Methoden renoviert wurden sind begeistert.“
Geschlossene Kreisläufe als Ziel
In Sachen Nachhaltigkeit beschritt man im Westhafen von Anbeginn an in jeglicher Hinsicht neues Terrain. Dass die Energie der Sonne nicht nur für Fotovoltaik, sondern auch als thermische Quelle genutzt wird, ist selbstredend. „Das ganze Stadtviertel versorgt sich zu 100 Prozent durch lokal hergestellte erneuerbare Energien – erzeugt von Sonne, Wind und Wasser“, so die Expertin. Ziel der nachhaltigen Gesellschaft ist es, bestmöglich zu rezyklieren. So spielt Abfalltrennung eine entscheidende Rolle. Die passende Infrastruktur wird bereitgestellt. Nahrungsmittelabfälle werden in einer Biogasanlage zu Treibstoffen für die Stadt- Autobusflotte verarbeitet. Jedes Haus ist mit einem innovativen Abfallsaugsystem ausgestattet. Dabei wird der Hausmüll über ein Rohrleitungssystem aus dem Viertel gepumpt. Müllabfuhrwagen brauchen nicht mehr ins Wohngebiet zu kommen. Selbst für die hier lebende Fledermaus-Population wurde ein eigenes Habitat geschaffen. „Wenn man schon ganzheitlich agiert, sollte man auch die Tierwelt miteinbeziehen“, meint Rolfdotter, die auch als Designerin von City-Art-Gym stählerne Fitnessgeräte für den öffentlichen Raum konzipiert hat, die in Mitten der weitläufigen Grünanlage stehen.
Ökologische Vorzeigeregion
Zum Aufschwung der gesamten Region hat nicht nur die das neue Westhafen-Viertel beigetragen, sondern auch die Eröffnung der 16 km langen Öresundbrücke, die die Provinz Skåne näher an Dänemark heranrückt. Vom Kopenhagener Flughafen bis ins Stadtzentrum von Malmö dauert die S-Bahn-Fahrt nur 20 Minuten.
Stolz ist man hier am Südzipfel Schwedens nicht nur auf die Eigenständigkeit der Provinz, sondern auch auf deren kulturellen Reichtum. „174 Sprachen kann man in Malmö hören. Wir sind eine Einwandererstadt mit einer unglaublichen Vielfalt“, betont Rolfdotter. Sie zeigt sich über diese Tatsache genauso stolz wie über die insgesamt 420 km Radwege, die das Stadtgebiet überziehen. „Malmö war auch die erste Fairtrade City Schwedens. Das heißt, dass man hier die kontinuierliche Verbesserung ethisch verantwortlichen Konsumierens gefördert hat.“ Vielleicht hat das auch mit der wunderbaren Umgebung zu tun. Skåne gilt nicht zu Unrecht als eine Kornkammer Schwedens – und auch hier setzen immer mehr Bauern auf Nachhaltigkeit.
In der Zwischenzeit gibt es 180 Farm-Shops, die eigene Produkte direkt ab Hof verkaufen. „Dafür gibt es in Schweden mittlerweile ein großes Kundenpotenzial, da immer mehr Menschen wissen wollen, woher die Nahrung stammt, die sie täglich essen“ so Rolf Axel Nordström vom Bio-Bauernhof Ängavallen in Vellinge – rund 20 km südlich von Malmö. Am Hof Ängavallen leben Schweine und Rinder ganzjährig im Freien. Das wirkt sich auf die Qualität der Fleischprodukte aus. Hier wird nicht nur Fleisch und Käse produziert, sondern als bald auch eigenes Bier. Konsequent nachhaltig – ebenso wie Västra Hamnen. Auch der dortige Supermarkt vertreibt ausschließlich biozertifizierte Nahrungsmittel. „Gäste aus dem In- und Ausland sind von der hohen Lebensqualität in Skåne begeistert“, meint Rolfdotter. Dem kann ich, als Autor dieser Zeilen, uneingeschränkt zustimmen.
Schwedisches Fremdenverkehrsamt Visit Sweden www.visitsweden.com/de
Green Roof: www.greenroof.se/en/
Scandic Hotel St. Jörgen***+
http://hotelbeschreibung.fti.de/pdb/crs/MMA323.html
ab Preis: € 44,– p. Person im DZ/NF